Vertrieb im Wandel (Vertrieb 4.0)…
…oder wie die digitale Transformation weitgehend unbemerkt Vertriebsarbeit (Vertrieb in Zeiten von Internet) verändert.
Mittlerweile sind in der Republik „Digitalien“ viele Bereiche des Wirtschaftslebens mit dem Zusatz 4.0 versehen. In unserer Wahrnehmung sind diese „4.0er“ alle ziemlich modern, besonders zukunftstauglich und nicht selten auch ein klein wenig beängstigend.
Mit Marketing und Vertrieb verhält es sich nicht anders. Marketing 4.0 habe ich in Grundzügen im letzten Blogbeitrag vorgestellt. Marketing 4.0 als die komplette Umkehr vom althergebrachten herstellerorientierten „Push-Marketing“ zum nachfrageorientierten „Pull-Marketing“ – also ein Umbruch, der vieles von dem, was wir in den letzten dreißig Jahren über Marketing gelesen haben, ziemlich alt aussehen lässt.
Wie verhält es sich jetzt aber mit dem Vertrieb 4.0?
Bei genauerem Hinsehen erkennt man relativ schnell, dass sich hinter dem Begriff Vertrieb 4.0 wesentlich mehr verbirgt, als ein schlichtes Facelifting. Vielmehr haben wir es auch hier mit einer enormen Veränderung der bisher praktizierten Prozesse zu tun – und das sowohl im B2C- als auch im B2B-Vertrieb.
Aber der Reihe nach. Wenn es heute einen Vertrieb 4.0 gibt, muss es ja mal einen Vertrieb 1.0, 2.0. und 3.0 gegeben haben. Ja genau – und das ist alles noch gar nicht so lange her. Also von vorne: Der Vertrieb 1.0 fand – sagen wir mal – in den 50er- bis 70er-Jahren statt und war geprägt durch das Thema „Bedarfsdeckung“. Die Menschen hatten einen hohen Bedarf an diesem und jenem und wollten ihn gedeckt wissen. Die Amerikaner nennen diese Vertriebsepoche übrigens auch „Selling by shelf filling“ – auf Deutsch: Verkaufen durch Regalfüllen. Diese Zeiten sind natürlich längst vorbei, flackern nur noch kurz auf, wenn die Kunden zum Beispiel vor den Apple Stores kampieren, um ganz sicher das neueste iPhone zu ergattern.
Danach führten die zunehmende Sättigung der Märkte, ein immer größerer Wettbewerbsdruck und die Austauschbarkeit von Produkten und Dienstleistungen zu Entwicklungen, die die Beziehung zwischen Kunde und Verkäufer in den Vordergrund rückten. Unter dem Motto „Der Verkäufer ist das Produkt.“ wurde das Thema „relationship selling“ – also das Verkaufen durch Beziehung – zum obersten Gebot für den Vertrieb erhoben. Fassen wir diese Phase mal als Vertrieb 2.0 (den Kunden vom Angebot überzeugen) und Vertrieb 3.0 (dem Kunden eine Lösung für ein bestimmtes Problem anbieten) zusammen. Vertriebsmitarbeiter, die ihre Rolle als Beziehungsmanager ernst genommen haben, konnten ihren Job durchaus erfolgreich ausüben. Dieses Relationship Selling wird nach wie vor praktiziert, die Erfolgsspur ist jedoch immer öfter blockiert.
Woran kann das liegen? Ganz einfach: Das Internet hat das Verhalten der Nachfrager maßgeblich verändert. Kunden wollen mit ihrem Lieferanten eine lösungsorientierte Partnerschaft eingehen. Sie wollen, dass auf ihre individuellen Wünsche sehr flexibel und zeitnah eingegangen wird, und legen Wert darauf, ihre Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen.
Und dabei hat das auf den Consumer-Märkten gelernte Verhalten schon längst auch in der B2B-Welt Einzug gehalten.
Welche Auswirkungen hat nun aber diese Entwicklung hin zur lösungsorientierten Kunden-Lieferanten-Partnerschaft für den Vertrieb?
Zuerst einmal die gute Nachricht: Es wird auch weiterhin von Mensch zu Mensch verkauft. Allerdings haben sich die Erwartungen, die der Kunde an den Verkäufer stellt, geändert. So braucht er kaum noch Informationen über das Unternehmen oder über Produkte und Dienstleistungen. Die hat er nämlich schon längst im Internet recherchiert. Und in vielen Fällen reichen diese Informationen – gepaart mit Kundenmeinungen aus Bewertungsportalen – aus, um eine Kaufentscheidung herbeizuführen. Dort, wo diese Informationen nicht ausreichen, erwartet der Kunde vom Lieferanten schnelle Reaktion und kompetente Beratung. Das gilt ganz besonders für den B2B-Vertrieb, denn Studien haben gezeigt, dass hier bereits ca. 60 % des Verkaufsprozesses gelaufen sind, wenn der Erstkontakt mit dem Vertrieb erfolgt.
Bisher wurde der Vertrieb, nachdem ein Interessent auf ein Angebot aufmerksam geworden ist, meist telefonisch kontaktiert, um detaillierte Informationen zum Angebot zu liefern. Heute erhält der Vertrieb vom Kunden nach erfolgter Vorabinformation meistens eine E-Mail zum Beispiel mit der Frage nach einem konkreten Angebot. Und dann sollte es schnell gehen, denn aufgrund seiner B2C-Erfahrungen hat der Kunde gewisse Erwartungen bezüglich der Reaktionszeiten.
Schließlich hat er beim Onlinehändler die Erfahrung gemacht, dass der bestellte Kühlschrank eine Stunde nach Abschluss der Bestellung per E-Mail versandfertig gemeldet wurde und dass am nächsten Morgen die Lieferung vom Paketdienst auf die halbe Stunde genau angekündigt wurde. Ja, dann hängt die Messlatte ziemlich hoch. Ein potenzieller Kunde, der nicht spätestens in Tagesfrist einen Kontakt zu einem kompetenten Vertriebsmitarbeiter bekommt, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit anderweitig umsehen – und möglicherweise in den sozialen Netzen zusätzlich Antistimmung verbreiten.
Vertrieb 4.0 bedeutet also u.a.:
- Der Vertrieb muss sich auf neue, schnelle Reaktionszeiten einstellen.
- Der Vertrieb hat es mit neuen Kommunikationsmedien zu tun.
- Fachliche und kommunikative Kompetenz der Vertriebsmitarbeiter sind sehr stark gefordert.
Vielen Unternehmen ist dieser Wandel bewusst, jedoch fällt es ihnen schwer, sich darauf einzustellen. „Man muss sich schon ganz schön anstrengen, um bei uns Kunde zu werden.“ heißt es dann nicht selten. Das Problem ist, dass Organisationen oft zu träge sind, um sich anzupassen. Doch die alte Weisheit gilt mehr denn je: Rennen werden in der Regel von den Schnellen gewonnen.
Aber nicht nur Schnelligkeit allein zählt. Eine schnelle E-Mail auf eine Anfrage ist schon ganz gut, kann aber den persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Hatte der Interessent bis zu seiner Anfrage auch kaum Interesse an persönlicher Kommunikation, so kann der persönliche Anruf eines kompetenten und verbindlichen Vertriebsmitarbeiters als Reaktion auf eine Anfrage trotzdem schon den Ausschlag geben.